Dienstag, 24. Oktober 2006
Herzkasper!
Gerade war eine Feuerschutzübung. Tolle Veranstaltung! Wir sind aber nicht ganz sicher, ob es wirklich nur eine Übung war, oder ob nicht doch irgendwo jemand beim Rauchen den Feuermelder auf dem Zimmer ignoriert hat. Jedenfalls versammelte sich das ganze anwesende Wohnheim zu dessen Füßen und wartete ca. 15 Minuten. Danach ging es ohne jegliche Informationen, was das Ganze nun wirklich zu bedeuten habe, wieder rein in die gute Stube. Das Blödeste daran war, dass der Alarm sehr, sehr plötzlich kam. Gut, kann man da sagen, das ist es ja, was einen Alarm auszeichnet. Mag sein, aber ich hab' mich trotzdem mörderisch erschrocken. Zudem war es auch sehr, sehr laut. Michal war total sauer, weil er mitten in der Arbeit seinen Rechner schnell runterfahren musste und wir dann aus dem 14. Stock (!!!) die Treppe nach unten nehmen durften. Gauthier wiederum war völlig verunsichert, weil er in einem anderen Zimmer war und bloß sein Feuerzeug, Zigaretten und Handy dabei hatte. Überhaupt haben wir alles falsch gemacht, was man bei einer wirklichen Gefahrensituation falsch machen kann: erst mal Rechner runtergefahren, dann Jacke und Schuhe angezogen, abgeschlossen - wir wollen ja nicht beklaut werden - und schließlich gemütlich runtergestiegen. Dann haben wir uns nicht etwa vom Gebäude entfernt, sondern die Meisten blieben am Fuße stehen oder sogar drinne. Komisch, komisch ...

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Sonntag, 15. Oktober 2006
Husten, Schnupfen, Heiserkeit
Die Ostrów Tumski bei NachtDie zurückliegende Woche war ganz dem obenstehenden Motto gewidmet. So ziemlich jeder (Deutsche) ist krank, die Meisten haben eine saftige Erkältung gepaart mit ordentlichen Halsschmerzen. Kommt vielleicht vom Fahrradfahren?! Oder von der dienstäglichen nächtlichen Fahrt auf der Oder (Wahnsinn, zweimal ein großes "Oder" in einem Satz!). Nichts genaues weiß man nicht.
Letztere war ansich ganz schön, würde da nicht eine ganze Serie von misslungenen Fotos dokumentieren, dass Philipp einfach nicht fotogen ist. Selbstverständlich wird keines dieser Bilder hier jemals Eingang finden. Hoffentlich! Vielmehr sollte man seine volle Aufmerksamkeit auf die Schönheiten der Natur und der Architektur verwenden. Obwohl, so ein paar Bilder ...

So hat hier jeder seine Probleme, und die Stadtpolizei ist weiterhin voll und ganz mit ihrer herbstlichen Freundlichkeitsoffensive beschäftigt und holt im Rahmen dieser jeden Radfahrer von seinem Gefährt, um ihn auf irgendeinen neuen Verstoß hinzuweisen. Bin noch nie so oft kontrolliert worden! Mal ist es das Licht, das man auch tagsüber anhaben muss, mal darf man nicht über einen Zebrastreifen fahren, mal nicht über den Rynek. Auch wird ständig was demoliert, wenn man sein Bike draußen lässt. Mittlerweile hab' sogar ich eingesehen, dass man sein geliebtes Zweirad wohl doch mit aufs Zimmer nehmen muss, wenn man es auch in allen Einzelteilen behalten will. Andernfalls wird es dir hier von irgendwelchen Besoffenen peu a peu zerlegt.
Aber viel Zeit zum Ärgern bleibt nicht, die Uni geht weiter, langsam sollte man seine Kurse gewählt haben. Polnisch hakt immer noch ganz ordentlich, aber es wird ...

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Donnerstag, 5. Oktober 2006
Hosenkauf ist Vertrauenssache!
Der erste Sprachkurs liegt hinter uns, der nächste hat begonnen. Seit gestern sind wir an der "Schule für Polnische Sprache und Kultur für Ausländer" der Universität untergebracht. Das Ganze findet in einem barocken Prachtbau direkt an der Oder statt und wirkt mehr wie ein Schloss als wie eine Lehranstalt. Der Kurs ist leider etwas größer als in den letzten zwei Wochen. In meinen Kurs, die schlechtesten der Fortgeschrittenen, sind noch gut zehn Kasachen eingegliedert worden. Das sagt erst mal gar nichts, aber die Jungs und Mädels haben zumindest gestern die auf Dauer etwas unsympathische Angewohnheit an den Tag gelegt, immer und überall, wo sie was zu wissen glauben, reinzurufen. Dummerweise nervt das irgendwann und noch viel blöder ist: es war meistens falsch!
Aber wir werden sicherlich noch dicke Kumpels ...
Der Tag war ohnehin voll von Uni, weshalb ich vielleicht bloß ein bisschen überempfindlich war. Die lectures auf Englisch machen alle einen ganz guten Eindruck, ein paar Dozenten verfügen zudem über sehr eigenwilligen aber umso besseren Humor. Beispiel "Polish Foreign Policy": Unser Dozent hat nur ein Blatt mit dem Seminarplan. Die dummen deutschen Studenten - von denen ich mich nur an dieser einen Stelle einmal ausnehme - glauben, er werde es ihnen aber schon noch kopieren. Nur Philipp ist von Grund auf skeptisch, man kann auch pessimistisch sagen, und macht eine halblaute, englische resignierende Bemerkung von wegen: das müssen wir wohl selbst kopieren! Fragt der gute man mich prompt: Where're you from? - Germany?! - But you're of Polish origin! Otherwise you wouldn't know. - No, but I'd like to be of Polish origin. - Why??? - To speak a better, fluent Polish?! - I don't understand you, I'd prefer to be a German. Maybe we can change our passports?!
Sagen wir's mal so, ich fand es verdammt ungewöhnlich mit einem Dozenten eine solche Unterhaltung zu führen, zumal er meinte - angesichts 70 % deutscher Studenten in seinem Kurs - er gebe keine guten Noten an Deutsche, weil sie 1939 Polen angegriffen hätten. Worauf ihm allerdings immer geantwortet werde, dass, falls er keine Noten an uns vergeben würde, die Deutschen Polen wieder angreifen würden. Das, so meinte er, sei ein überzeugendes Argument. Unsere ECTS-Points sind also erst mal sicher!
Ah ja ...

So kann es zugehen zwischen Polen und Deutschen. Geht aber auch anders. Das durften ja diverse Leute schon erfahren. Entweder wird man im Club fast verschlagen, weil man polnische Frauen antanzt oder aber man gerät in die Fänge der Ordnungsmacht. Und da diese sich nach Aussagen von Eingeborenen noch profilieren zu müssen glaubt, um den Vorwurf der alles durchziehenden Korruption abzustreifen, lässt sie sich mit Vorliebe mit Gesetzen gegen Alkohol im öffentlichen Leben ausstatten und greift dann hemmungslos zu.
In der Öffentlichkeit zu trinken geht gar nicht. Das macht noch irgendwie Sinn und ist zu ertragen. Im Winter ist es in Kneipen ohnehin schöner. Aber dass der Alkoholgehalt von 0,25 Promille bereits einem Straftatbestand entspricht, das war sogar vielen Polen neu. Eine von uns musste jedenfalls die vorletzte Nacht in einem polnischen Gefängnis verbringen, in einer Zelle mit einer wirklichen Alkoholikerin. Das Vergehen der armen Erasmus-Studentin: mit 0,27 Promille auf dem Fahrrad und einer Tschechin auf dem Gepäckträger über den Rynek (Hauptmarkt) gefahren zu sein. Ganz blöd war, dass sie es eigentlich nur ausprobiert hatten und nur auf dem Markt, wo keine Autos fahren, radeln wollten. Aber genau da patrouillierte leider auch die Stadtpolizei! Jetzt hat die Gute einen Strafprozess am Halse, der wohl ein wenig Zeit und Geld kosten wird und zudem die Gewissheit, im Wiederholungsfalle gleich mal für acht Monate in den Bau zu wandern. Sozusagen eine unfreiwillige Aufenthaltsverlängerung.
Jetzt machen wir schon wieder Witze, aber vorgestern war es uns nicht so egal. Zumal Sarah und ich ebenfalls kurz vorher erwischt wurden. War irgendwie unwirklich, weil wir eben nicht wirklich angetrunken waren. Sarah landete aber trotzdem knapp unter der Bußgeldgrenze (0,2 Promille), ich gar nur bei 0,12. Die fettigen frytki am späten Abend waren meine Rettung!!!
Aber auf jeden Fall durften wir uns mit zwei polnischen Polizisten mehr oder weniger angeregt über die besten polnischen Biere (Zywiec! Und Piast eigentlich auch) austauschen und ließen ihnen auch gleich noch die Namen unserer Eltern da! Wenn das mal keine völkerverbindende Maßnahme war! In diesen lustigen Alkomat mussten wir auch noch, zum ersten Mal im Leben, pusten. Aber bei uns war ja alles im Lot. Danach durften wir unbehelligt weiter fahren. Nur haben sie jetzt halt unsere Daten von den Personalausweisen.

Nur Katastrophen also. Das Internet im Wohnheim funktioniert auch nicht, zumindest ab Stockwerk acht bis hoch ins 16. Dumm, dass ich heute oder morgen im 14. mein Einzelzimmer kriegen soll. Denn mein zwischenzeitlich gesperrter Mac darf jetzt wieder ins Netz.
Außerdem muss die Luft hier komisch sein. Ich habe es nämlich geschafft, dass drei meiner vier Jeans im ... ich wage es kaum zu sagen ... im Schritt gerissen sind. Kurwa! Weiß nicht, wie das passieren konnte. Vielleicht ist mein Fahrradsattel so hart?! Deswegen war ich gestern endlich mal Hosen kaufen, zum Glück unter fachkundiger weiblicher und - falls sie es lesen muss ich natürlich noch ein bisschen charmieren (zumindest versuchen so zu tun) - höchst angenehmer Begleitung. Jetzt kann ich endlich wieder in die Öffentlichkeit gehen, ohne Angst haben zu müssen, dass mir beim Absteigen vom Rad was reißt. Hosenkauf ist und bleibt eben Vertrauenssache!

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Mittwoch, 27. September 2006
Erasmus? - Erasmus!
Viele Wege führen nach Wroclaw, aber einige scheinen länger zu sein als andere. Meiner beispielsweise dauerte gute neun Stunden. Von Gotha aus ist das schon mit die Beste Verbindung, bei der man sogar noch zweimal einen ICE benutzen konnte. Insgesamt viermal muss man dann innerhalb Deutschlands umsteigen - Erfurt, Leipzig, Dresden-Neustadt, Görlitz - bevor man mit einem polnischen Zug direkt ins schöne Wroclaw fährt. Die Landschaften, die die Bahn dabei durchfährt sind relativ dünn besiedelt, aber abgesehen von den vielleicht etwas weniger "gepflegt" aussehenden Häusern in den Dörfern unterscheidet sich nicht so viel von dem Bild, das sich vorher in Sachsen bot. Nur die Bahnhöfe werden häufiger, der Zug hält dementsprechend öfter und die Stationen selbst sehen noch so aus, wie man sie vor vielleicht dreißig Jahren zuletzt erneuert hat. Aber auch das ändert sich momentan auf dieser Strecke. Mit Geldern der EU wird ein neuer Schienenstrang Richtung Görlitz, tendenziell Dresden, verlegt. Irgendwann soll er mal Berlin, Dresden und Wroclaw verbinden. Dumm nur, dass die deutsche Seite, also Deutsche Bahn und Bundesverkehrsministerium von einem derartigen Projekt noch nicht so überzeugt zu ein scheinen. Denn für einen Schnellzug, wie der mit wie geplant mehr als 100 km/h die Städte verbinden soll, ist die Strecke von der Grenze bis nach Dresden nicht ausgelegt. Man könnte auch sagen: zu alt.

Anyway. Nach ungefähr vier Stunden beschaulicher Fahrt durch polnische Spätsommerlandschaft, die zugegebenermaßen sehr warm waren, erreichte der Zug Wroclaw Glówny (Hauptbahnhof). Gleich bei aussteigen lernte ich dann die erste deutsche Erasmus-Studentin kennen, die bezeichnenderweise im selben Abteil gesessen und sich köstlich amüsiert hatte, als ich von einer leicht extrovertierten alten Polin zugetextet wurde. Verstanden hatte ich nix, aber es ging wohl um eher allgemeine Probleme der Existenz und spezieller Tücken des polnischen öffentlichen Transportsystems unter der Annahme, man habe keinen gültigen Fahrschein dabei. Leider war der Schaffner nicht so geduldig wie ich und versuchte nicht einmal Desinteresse zu heucheln. Vielmehr blaffte er sie zwar an, schmiss sie aber trotzdem nicht raus. So war sie die ganze restliche Zeit ganz davon eigenommen, ihre Sachen aus den mitgeführten Plastiktüten auszupacken und in fast schon andachtsvoller - von Selbstgesprächen und kurzen aber heftigen Disputen mit dem Zugpersonal unterbrochener - Miene wieder einzupacken.

Abgeholt wurd ich am Bahnhof in Wroclaw von zwei der Tutorinnen, zusammen mit einer Gruppe weiterer Deutscher, die aus Richtung Berlin kamen. Auf dem Schild, dass die beiden uns abholenden Damen trugen stand schlicht ERASMUS. Unmissverständlich. Im Taxi ging's zum Wohnheim und dort erst mal in die Müh(l)en der Bürokratie. Als dann alles ausgefüllt war, was das Büro so an Formularen hergab, konnten wir wirklich unsere vorläufigen Zimmer beziehen.
Der Abend führte dann mit Kamila - einer der Tutorinnen - in die ersten Bars und zum lang ersehnten ersten polnischen Bier eit langer Zeit! Lecker und viel besser als in Deutschland, weil nicht so herb sondern kräftiger und ein wenig süßlicher. Ein ziemlich guter erster Eindruck also!

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