Freitag, 24. November 2006
Lesen in gepflegter Umgebung
Leicht kann der Eindruck entstehen, ein Erasmus-Aufenthalt bestünde im Wesentlichen aus dem übermäßigen Konsum von Alkohol, dem Besuch von Konzerten und der losen aber steten Abfolge von irgendwelchen, meist selbstverschuldeten Katastrophen. Gegen diese Einschätzung ist auch im Grunde nicht viel einzuwenden. Es gibt aber auch immer wieder Momente, in denen besinnt man sich des eigentlichen Grundes seines Aufenthaltes.
Lesesaal im Philologischen Institut Die Projektkursarbeit ist jetzt endlich fertig und hoffentlich mit der deutschen Post auf dem Weg nach Berlin. Die polnische Briefbeförderung stockt etwas, die Briefträger haben gerade keinen Bock auf Arbeit und streiken - Genaueres darüber weiß ich leider noch nicht, denn mein Interesse an der Thematik war bisher ähnlich begrenzt wie meine Polnischkenntnisse, die ein genaueres Verständnis des diesbezüglichen Zeitungsartikels verhindert haben. In jedem Falle ist nun noch mehr Zeit sich in die Arbeit für die diversen Seminare zu stürzen. Das war auch exakt das, was wir heute zur Abwechslung mal taten. Damit das Ganze auch angemessen von statten gehen konnte durfte es natürlich nicht irgendein Lesesaal sein, der über unseren seligen Schlummer auf den Büchern wachen durfte. Es musste der Saal im Philologischen Institut in der ulica Nankiera sein! Ein Saal im Sinne des Wortes, leider auch etwas hellhörig. Allerdings nur, wenn sich die pani (Frau) von der Aufsicht mit einem älteren Kollegen unterhält. Da Männer ja bekanntlich nur flüstern können oder eben laut reden aber nichts dazwischen ... na ja, ich hab' nicht kapiert worum es ging. Aber zum Glück musste ich nicht das schnell nachgeschlagene "Halt dein Maul!" (Trzymaj pysk! - Vorsicht: Wortwörtliche und deshalb falsche Übersetzung!) anwenden. Ein feundlicher und ebenfalls leicht angenervter Pole kam mir zuvor. Allerdings fand er Worte der Versöhnung und des Kompromisses. Vorbildlich! Pani und pan (Herr) verzogen sich darauf in die hinteren Gemächer und ihr Gespräch war fortan nur noch als monotones Grummeln zu vernehmen. Ruhe.
Direkt am Saal angrenzend gab es auch eine kleine Handbibliothek mit Nachschlagewerken (auch deutschen und englischen) aus den letzten Jahrzehnten und sogar einem Adressbuch von Breslau aus dem Jahre 1875. Lag einfach so im Regal, ein bisschen vernachlässigt aussehend aber im Original. Hätte nicht gedacht, so etwas einfach im Freihandbereich zu finden.

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